Als Chronist des Fußballgeschehens kramt man mitunter gern in der Klamottenkiste der unvergeßlichen Momente und erinnert sich voller Melancholie an einzigartige Spiele und denkwürdige Turniere; an den einen wunderbaren Paß aus dem Fußgelenk, das eine unvergleichliche Tor, die eine unglaubliche Parade, besondere Augenblicke von denen man glaubt, solche Virtuosität, Spielübersicht und Ballbehandlung sähe man zu Lebzeiten höchstens einmal und dann nie wieder. Man vergleicht schwelgend und analysiert rückblickend. Und mit dem festen Glauben, man habe tatsächlich schon alles erlebt, alles mindestens einmal gesehen, kommt plötzlich ein scheinbar normales Turnier daher und beraubt mich dieser sagenhaften Illusion. Ein samstägliches Einladungsturnier im niederrheinischen Schwalmtal erscheint auf den ersten Blick nicht unbedingt als die Sensation, welche gerade dazu angetan sein sollte. Wie gesagt, auf den ersten Blick. Die genauere Betrachtung des Ereignisses aber bedeutet dem geschulten Auge, daß an diesem Tag auf jeden Fall Fußballgeschichte geschrieben wird, im positiven oder im negativen Sinne.
Zur Vorgeschichte: Im Sommer 1997 begleitete ich berufsbedingt zum ersten Mal die damalige Lizenzspielabteilung von
Vorwärts Heimer, ausgerechnet auf ihrer Abschiedstournee durch Asien. Spieler im Zenit ihres Könnens, traumwandlerisch sicher im Umgang mit dem runden Leder und zugleich doch fest entschlossen, die aktive Laufbahn in wenigen Tagen ein für alle Mal zu beenden. Diverse Angebote, sich im Herbst der Karriere noch einmal die Taschen bei mittelmäßigen europäischen oder arabischen Klubs richtig füllen zu lassen, wurden von allen Spielern als durchweg unanständig abgelehnt. Eine wunderbare Einstellung, denn den Zeitpunkt des würdevollen Abschieds verpassen leider auch heute noch viele Profis nur allzu gerne. «
Das war’s dann Freunde», stammelte seinerzeit der sichtlich bewegte Kapitän in die Traube ihn umringender Mikrofone und Kameras, «
Ich lege mich fest und sage, in dieser Konstellation werden wir nie wieder vor Publikum auflaufen!», winkte ein letztes Mal zum Abschied und folgte den Mannschaftskameraden in die Tiefe der Katakomben. Aus und vorbei. Was mir und allen Beteiligten am Ende übrig blieb sind die Erinnerungen an «
die Nacht von Oamishirasato», dem letzten Spiel der legendären Elf, bei denen ich noch heute regelmäßig ins Schwärmen gerate und ein schlechtes Mannschaftsfoto der glorreichen
Achterbande.
Damals und heute:
(links) Vorwärts Heimer 1997;
(rechts) FohlenKommando All-Stars 2006.
Alle Rechte: FohlenKommandO
Viel ist seitdem geschehen. Älter sind sie natürlich geworden und die Knochen schmerzen häufiger als damals, aber vor allen Dingen haben alle Spieler seitdem neue Wege eingeschlagen. Sie haben studiert und im Ausland gelebt, respektable Jobs angenommen und sind zum Teil Ehemänner und Väter. Die ganz normale Karriere nach der Karriere möchte man meinen. Aber ein Leben ganz ohne Fußball zu führen, war für die ehemaligen Profis ausgeschlossen. «
Wir haben uns bei irgendeinem Anlaß zusammengesetzt und gesagt, wir müssen wieder etwas zusammen machen. Das dieses etwas mit Fußball zu tun haben würde, das war uns allen schon deutlich bewußt. Und aus dieser Erkenntnis heraus wurde dann spontan das FohlenKommandO geboren. Erst ohne feste Zielsetzung. Aber wie das halt so ist, da führt dann eine Geschichte zur nächsten und irgendwann wird es zum Selbstläufer. Wenn wir schon nicht mehr spielen, dann wollten wir doch zumindest über Fußball schreiben. Der Rest ist ja bekannt.»
Schwalmtal im Juli 2006. Strahlender Sonnenschein, satter grüner Rasen, begeisterte Zuschauer, die perfekten Bedingungen für einen perfekten Fußballnachmittag. Die Mannschaften wärmen sich auf, dehnen sich. Ein letztes Mal werden Standardsituationen und Elfmeter geübt. Keine außergewöhnlichen Bilder, sondern Szenen wie man sie allenthalben vor Spielbeginn zu sehen bekommt. Was Zuschauer und Pressevertreter aber bereits jetzt in schiere Ekstase versetzt, ist der bevorstehende Auftritt der
FohlenKommandO All-Stars. Tagelang kursierte hinter vorgehaltener Hand das hartnäckige Gerücht, der einstige Schwur der Heimer-Truppe, nie wieder zusammen spielen zu wollen, würde an diesem Samstag für wenige Stunden ein Ende finden. Doch wie so oft wußte kein Kollege Konkretes zu berichten, Quellen konnten oder wollten nicht offenbart werden, lediglich nebulöse Andeutungen machten die Runde und schlußendlich wollte keiner so recht an das tatsächliche Wunder glauben. Zu groß war die Angst, der vermeintliche
scoop könnte sich zu guter Letzt als lahme Ente erweisen. Ein Skandal allererster Güte, ein zu großes, unkalkulierbares Risiko für die Chefredakteure. Erst die am Samstagmorgen eilig einberufene Pressekonferenz der Veranstalter konnte der breiten Öffentlichkeit dann die ersehnte Gewißheit verschaffen: «
Ja, wir haben eine feste Zusage, die Mannschaft wird auflaufen und befindet sich in diesen Minuten bereits auf dem Weg ins Stadion.»
Um 14:45 ist der Moment der Wahrheit gekommen. Die Startformation der
FohlenKommandO All-Stars betritt den Rasen. Das erste Match des Tages, ein wirklich unterhaltsames und torreiches Spiel, ist vor wenigen Minuten abgepfiffen worden. Ein guter Auftakt in dieses Einladungsturnier. Die sehr ordentlichen Leistungen im Eröffnungsspiel lassen für den weiteren Verlauf spielerisch und taktisch definitiv noch ein wenig Luft nach oben übrig, aber auf den Rängen fragt sich das fachkundige Publikum mit bangen Blicken, ob ausgerechnet die Alt-Stars nach neunjähriger Abstinenz in der Lage sein werden, dieses Vakuum mit ihrem einstmals vorhandenen Potential zu füllen. Oder sollte der letzte Eindruck, in bester Erinnerung geblieben, durch dieses Comeback sogar ruiniert werden? Man ist ob der ungewissen Ausgangssituation geneigt, kurzweilig zwischen vorausseilender Begeisterung und gleichzeitig einsetzender Panik zu schwanken. Nach wenigen Sekunden sind die Zweifel allerdings beseitigt. Der Ball zappelt zum ersten Mal im Netz des Gegners. In den kommenden 24 Minuten überrollt das FohlenKommandO mit seiner Torgewalt seine Kontrahenten, die dem aggressiven Forechecking und den sicheren Kombinationen am Ende 13:1 erliegen. Die Zuschauer sind begeistert. Unglaublich, die Maschine läuft noch immer auf Hochtouren.
Allerdings nicht mehr zeitlich unbegrenzt. Das erste Spiel hat sichtbar Kraft gekostet und die Anstrengung ist in den Gesichtern abzulesen. Im Finale fehlt den Akteuren dann vor allem beim Torabschluß oftmals die notwendige Konzentration, um den Sack frühzeitig zuzumachen. Zur Pause steht es immer noch 0:0. Ihre Chance, unerwartet für die große Überraschung des Turniers zu sorgen, bemerken auch die aufopferungsvoll spielenden Gegner, die dem FohlenKommandO in einer packenden, an Tempo, Spielwitz und Einsatz kaum zu überbietenden Partie, alles abverlangen. In der zweiten Halbzeit wird um jeden Zentimeter gekämpft, Großchancen werden im Minutentakt vergeben, bis endlich ein satter Distanzschuß im Winkel landet. 1:0, der Bann scheint gebrochen. Aber nur wenige Augenblicke später die Schrecksekunde. Abstimmungsprobleme in der Innenverteidigung ermöglichen den kurzzeitigen Ausgleich. Den großen Unterschied machen am Ende nicht nur zwei weitere Kracher aus der Halbdistanz aus, sondern die Ausnahmeleistung des Torwarts, der sich, in der ersten Partie kaum gefordert, nunmehr zu Glanzparaden in Serie aufschwingt und den letztendlich verdienten Sieg, betrachtet man die Gesamtleistung, festhält.
Ein großes Spektakel findet dann inmitten unzähliger Bierduschen während der Siegerehrung seinen Höhepunkt. «
Es ist einfach ein großartiges Gefühl, sich vor dieser Kulisse, vor diesem Publikum, mit solch einer Leistung und einem Pokal endgültig verabschieden zu können. Der schönste Tag in unserer Karriere! Einfach unbeschreiblich!» Ist damit zugleich die Frage nach zukünftigen Auftritten des FohlenKommandO beantwortet? Die Antwort während des obligatorischen Festbanketts gegenüber den Medienvertretern fällt dann auch eher kryptisch aus. «
Damit beschäftigen wir uns im Augenblick nicht. Wir haben an diesen Titel geglaubt! Wir haben diesen Titel gewollt! Und wir haben diesen Titel geholt! Wir wußten, daß wir es noch draufhaben und es allen noch einmal gezeigt. Keiner weiß, ob wir uns das noch einmal antun werden. Man wird schließlich nicht jünger und die Fallhöhe nimmt in gleichem Maße exorbitant zu. Der Erwartungsdruck der Fans war vor dem Comeback schon verdammt hoch, da kommen einem dann doch ernsthafte Zweifel, ob es die richtige Entscheidung ist, erneut vor den Ball zu treten. Aber wer weiß, zum richtigen Zeitpunkt, und wenn alle fit sind, wir waren ja nicht mal vollzählig, dann vielleicht. Laßt Euch doch einfach überraschen.»
Es bleibt inständig zu hoffen, daß dies nicht der allerletzte Auftritt dieser famosen Mannschaft gewesen ist. Und wenn doch, dann ist man wenigstens froh, an diesem Tag Chronist gewesen zu sein. Es bleiben auch dieses Mal nur die Erinnerungen. Denn irgendwann, in schlechteren Tagen, wird man mal wieder in ihnen schwelgen müssen.
Die Redaktionsmitglieder des FohlenKommandO möchten sich an dieser Stelle ausdrücklich bei den Veranstaltern für Einladung und Organisation und bei dem befreundeten Autor für die späte Chance zur Legendenbildung bedanken!