28.3.06

Ungewollt einig

Die etwas andere Meinung (4)

Am Wochenende hat „die Borussia“ in Kaiserslautern verloren. Wenn sie gewonnen hätte, hieße es „wir haben gewonnen“ oder zumindest „unsere Borussia“, denn im Erfolg ist man vereint.

Jetzt fragt sich manch ein Zuschauer, was er denn nun tun kann, um den regelmäßigen Auswärtspleiten den Garaus zu machen. Bewährt hat sich im Fußball seit Jahren schon selbstgefälliges Gelaber, verkauft unter dem Deckmantel „Analyse“: "Wir müssen mehr mannschaftliche Geschlossenheit zeigen." Jetzt musste der Hauptproduzent von solch geistigem Überfluss Paul Breitner aber auch aus den eigenen Reihen hart einstecken. Hinterbankschwätzer Klaus Schlappner wird folgendermaßen zitiert: „Wenn ich Breitner höre, die Bratwurst. Der hat im Spiel nie Verantwortung übernommen. Jetzt will der uns erzählen, was richtig oder falsch ist." Wie können diese Personen mannschaftlicher Geschlossenheit fordern, wenn sie sich selbst in ihrer Gilde nicht einig sind? Überhaupt muss man schon seit Jahren feststellen, dass uns auch beim polternden Draufhauen die anderen Nationen den Rang abgelaufen haben („Es gibt keine kleinen Gegner mehr“). Vor jeder Saison müssen wir uns sogar in der BILD von Max Merkel, einem Österreicher (!) aufzeigen lassen, wie man richtig ledert.

Wenn meckern schon nichts bringt, was dann? Vielleicht sollten die Zuschauer streiken. Nur, wie soll dass vonstatten gehen? Gerade beweisen uns deutsche Klinikärzte, dass wir Deutschen keine Streiknation sind. Wir können es einfach nicht. Was ist das denn für ein Ärztestreik, wenn alle Patienten behandelt werden? Wenn sich in Frankreich ein Fluglotse darüber ärgert, dass in seiner Bäckerei die Baguettes aus sind, dann ist er sich mit seinen Kollegen einig und gemeinsam wird kurzerhand für drei Tage der gesamte Flugbetrieb lahm gelegt. Und wenn französische Jugendliche richtig sauer sind, dann werden ein paar tausend Autos in Brand gesetzt und die öffentliche Aufmerksamkeit ist ihnen gewiss. Auch ein italienischer Lokführer hat keinerlei Skrupel, mit seinen Kameraden den kompletten Bahnverkehr für mehrere Tage außer Gefecht zu setzen, wenn sein Capuccino zu kalt war. In Deutschland merkt man dagegen nicht einmal, wenn gestreikt wird. Wen stört es denn schon, wenn der Müll eine halbe Stunde später abgeholt wird als üblich oder man beim Arzt statt einer Stunde sechzig Minuten warten muss? Auch Streiken scheidet also aus.

Es bleibt also nichts anderes übrig, als die Situation so hinzunehmen wie sie ist. Und so sind Zuschauer und Mannschaft auch in der Not geeint, weil beiden die Mittel fehlen, etwas zu ändern.

27.3.06

Sapere aude, Borussenfan! Oder besser doch nicht...

Sehr verehrte Freunde des spochtverbunden Vergnügens,

in den letzten Wochen wurde rund um den Borussia-Park viel geträumt. Das geht sehenden und offenen Auges, in Tagträumereien sozusagen. Im Idealzustand befindet sich der Körper aber im Tiefschlaf, in völliger geistiger Umnachtung. Die Fohlenelf verbindet diese Fähigkeiten im Augenblick virtuos miteinander. In geistiger Umnachtung träumt sie am hellichten Tage auf des Gegners Platz im Schlaf der Selbstgerechten lustlos vor sich hin. Respekt, daß muß man erstmal nachmachen! Träume, sehr verehrte Leserinnen und Leser, sind allerdings Schäume. Diese, mal bittere und mal rationale, simple Überzeugung ist nicht sensationell neu. Der gestrige Auftritt der Borussia, fernab der niederrheinischen Heimat, hat in erkenntnistheoretischer Hinsicht wieder einmal nachdrücklich zur Untermauerung dieser Beweisführung beigetragen. Man darf getrost darauf verzichten, diese Einsicht anhand statistischer Werte belegen zu wollen. Es gilt das gesprochene Wort.

Die seit vier Jahren fortwährend zu erlebende, eklatante Auswärtsschwäche ist vielfach ausgiebig diskutiert worden. Eine präzise Antwort läßt sich allerdings nirgends finden. Zeit, Raum und Kausalität sollen, nach philosophischem Vorbild, nicht Gegenstände der Wahrnehmung sein, sondern ihre Bedingung. Theoretisch mag das stimmen. Die sich alle zwei Wochen wiederholenden 90 Minuten auf fremden Spielwiesen sind laut DFB-Statuten nun einmal zwingend vorgesehen; der dabei unter allen Umständen eindrucksvoll zur Schau gestellten Vermeidung der Erlangung dreier Punkte liegt allerdings keine immanente Ursächlichkeit zu Grunde. Weder a priori noch a posteriori.

Es handelt sich hierbei nicht schlichtweg um Pech oder um eine verhängnisvolle Verkettung widriger Umstände. Wir sprechen nicht von einer einmaligen Seuchensaison, die als Erklärung für eine momentan miserable Auswärtsbilanz herhalten könnte. Weder der Ausfall diverser Stammspieler, noch eine möglicherweise gerne prognostizierte, dauerhafte mentale Blockade können mangels weiterer Rechtfertigungen als Entschuldigung für diesen Dauerzustand angeführt werden. Es ist und bleibt also eine scheinbar unerklärliche Situation. Welche Erkenntnis können wir daraus ziehen? Keine hinsichtlich der Mannschaft. Ansonsten lediglich die, daß der Idealismus der Fans, die trotz der niederschmetternden Ergebnisse und zahnlosen Auftritte noch immer zahlreich Anteil am Spiel ihrer Mannschaft nehmen, nicht mit reiner Vernunft zu erklären ist.

Fans sind allerorten leidensfähige und oftmals auch leidgeprüfte Menschen, aber immerhin wohnt unserer Spezies im Allgemeinen tendenziell eine große Besonderheit inne. Wir sind vernunftbegabt. Vernunftbegabte Fans der Borussia, sollte man meinen, wären durchaus in der Lage, ihre Gepflogenheiten den Umständen anzupassen. Problematisch in diesem Zusammenhang ist allerdings die Frage: «Besitzen wir tatsächlich den Mut, uns unseres Verstandes zu bedienen?» Die Samstagnachmittage könnten dabei in vierzehntägigem Turnus zum Beispiel mit der fußballfreien Pflege des eigenen Rasens oder PKW ausgefüllt werden, ohne dabei in gewohnter Regelmäßigkeit aller Illusionen beraubt zu werden. An und für sich eine schöne Vorstellung.

Das Problem dabei: wir werden Woche für Woche schließlich nicht nur durch unseren Idealismus angetrieben; wer Visionen hat, der sollte bekanntlich eh besser zum Arzt gehen. Der Glaube an einen Auswärtssieg, das unreflektierte Vertrauen in die fußballerischen Fähigkeiten der Spieler, die Hoffnung auf eine bessere Plazierung, eine sorgenlose Zukunft, speist sich vor allen Dingen aus der Leidenschaft für das Spiel und den Verein. Eine Leidenschaft, die uns trotz besseren Wissens zwar einige Tage leiden läßt, uns aber spätestens am Wochenende wieder ins Stadion und vor den Fernseher treibt. Das Subjekt unserer Wahrnehmung bereichert unser Dasein als beharrliche Form der Existenz, ganz gleich, wie zermürbt sich dieses Dasein nach einer neuerlichen Demontage durch einen Abstiegskandidaten gestalten mag. Nur zu gerne würde der Verfasser verbal nachtreten und voller Leidenschaft einen flammenden Appell an seine Leser richten, den Rest der Saison mit der Suche nach einer neuen Freizeitbeschäftigung zu verbringen...

...aber vergebens. Seine Vernunft hat ihn gezwungen, eine Nacht über Gesehnes zu schlafen. Und noch während er seinem Ärger Luft machen möchte, treibt ihn sein Idealismus dazu, auch diese Woche weiter leidenschaftlich träumen zu wollen. Große Träume voller Ideale, das versteht sich natürlich von selbst. Es bringt zwar nichts, aber wenigstens das Träumen wird ja wohl noch erlaubt sein. Die Alpträume kommen schon unweigerlich von selbst, sollte die Mannschaft nicht endlich damit beginnen, das Feuer der Leidenschaft in sich zu entfachen. Falls die Spieler nicht wissen sollten wie das bewerkstelligt werden kann, die unzähligen Tag- und Nachtträumer auf den Rängen helfen mit Sicherheit gerne weiter. Wenn es so weiter gehen sollte, wahrscheinlich auch schon sehr bald, ungefragt und mit heftigem Nachdruck. Ob das den Spielern Gefallen bereiten wird, mag an dieser Stelle bezweifelt werden.

Weil alles Rätseln, Grübeln und der Ärger nicht im Geringsten weiterhelfen, wollen wir unseren Idealismus also nicht aufgeben, zumindest vorerst. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Realität demnächst mal wieder kurz die Vernunft in uns aufkeimen läßt. Denn, um noch einmal in erkenntnisphilosophischen Worten zu sprechen: «Nichts ist beständiger als die Unbeständigkeit». Ach ja, wenn’s nun mal nicht anders geht, dann bitte.

In diesem Sinne, gute Nacht allerseits.

10.3.06

Pawlowsche Freuden: Tanzen bis der Speichel läuft

Sehr verehrte Freunde des spochtverbunden Vergnügens,

der feste Glaube an eine bestimmte Sache kann bekanntlich Berge versetzen. In Mainz glauben Mannschaft und Trainer des ortsansässigen Erstligaclubs seit geraumer Zeit an die den Teamgeist und das Zusammengehörigkeitsgefühl fördernde Kraft des Haka, Ausdruck jeglichen Tanzes der polynesischen Maori. In diesem Falle handelt es sich um eine spezielle Variante, den Kamate, der sich dank der neuseeländischen Rugby-Nationalmannschaft bei Sportfreunden weltweit großer Beliebtheit erfreut.

Die Spieler der ‚All Blacks’ zelebrieren dieses Ritual vor jedem Match. Lautmalerisch und furchteinflößend stellen die ‚Krieger’ ihre Gegner vor Spielbeginn damit auf eine harte Probe. Eine ungeschriebene Gesetzmäßigkeit dieses heiligen Rituals zwingt den teilnahmslosen Beobachter, während des Haka stets festen Augenkontakt mit seinem tanzenden Gegenüber zu halten. Der Zuschauer bezeugt auf diese Weise nicht nur seinen zweifellos vorhandenen Mut, es handelt sich hierbei vor allen Dingen schlicht und ergreifend um eine Frage des Respekts. Die ganze Prozedur verläuft getreu dem Motto: wer zuerst wegschaut, der hat auch schon verloren.

Beeindruckt von derlei Pathos hat Jürgen Klopp seinen Mannen gemäß der Vereins- und Trikotfarbe vorgeschlagen, sie sollen sich künftig vor jedem Spiel in die ‚All Reds’ verwandeln. Gesagt, getan. Seitdem läuft im Mannschaftsbus vor jedem Spiel das Haka-Video. Vorsprung durch mentales Training sozusagen.

„Von da an“, sagt Klopp, „hieß es für alle: Wer das Mainzer Trikot anzieht, muß den Schalter umlegen, dann sind nur noch hundert Prozent erlaubt.“

Die Frage wie Horst Köppel seine Mannschaft mental auf Spiele einzustimmen pflegt, kann an dieser Stelle nicht abschließend beantwortet werden. Das der Übungsleiter ausgestopfte Adler an die Magnettafel pappt oder Totenköpfe neben die Aufstellung malt, um seine Spieler auf den Gegner vorzubereiten, darf allerdings bezweifelt werden. Den Schalter kann man normalerweise auch ohne Hokuspokus umlegen, wie letzte Woche, sogar in weißen Trikots.

Diese Woche empfehle ich für die Begegnung gegen Mainz trotz alledem zwingend die schwarzen Jerseys, rein prophylaktisch. Vielleicht schlottern den abstiegsbedrohten Mainzern ja auch schon vor dem Spiel die Knie. Einen Versuch wäre es jedenfalls wert. Wie es ausschaut, wenn entschlossene ‚All Blacks’ auf wagemutige ‚All Reds’ treffen, können geneigte Leser hier vorab schon einmal studieren.

Und obendrein gibt’s für die Busreise nach Mainz noch einen Anspieltip aus der Fohlenkommando - Filmredaktion: wir empfehlen an dieser Stelle die Highlights aus der 1. Vorrunde des UEFA-Cup 96/97. Borussia (in schwarzen Trikots) gegen Arsenal London (in roten Sweatern). Das Ergebnis dürfte hinlänglich bekannt sein. Wenn da nicht der Speichelfluß einsetzt, dann sollte schleunigst der nächste Arzt konsultiert werden.

Jürgen Klopp wird mit seinen Jungs vor der Partie wahrscheinlich auch wieder Video schauen, um Kraft der mentalen Stärke Berge zu versetzen. Wie gesagt, manchmal funktioniert das. Manchmal. Morgen hoffentlich nicht. Wenn dem so sein sollte, lieber Kloppo, sei nicht traurig. Es ist und bleibt trotzdem ein schönes Ritual.

Ach übrigens, für die Statistiker: die Kiwis (schwarz) haben Tonga (rot) in Brisbane 91:7 besiegt.

9.3.06

Humorkritik

Die etwas andere Meinung (3)

Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, über Humor schon. Um aber auch diese Diskussion zu versachlichen, hat das Fohlenkommando ganz klare Kriterien aufgestellt, anhand derer zu bestimmen ist, was witzig oder einfach nur platt ist. Bedauerlicherweise können diese Kriterien hier nicht im Einzelnen erläutert werden, die Ergebnisse präsentieren wir hingegen gerne.

Wenn Kasey Keller Maskottchen Jünter andeutungsweise in Wrestlingmanier den Rücken bricht, wie gegen Kaiserslautern und Frankfurt geschehen, ist das lustig. Auch wenn Keller dem Maskottchen ganz entgegen der alten Weisheit „einem geschenkten Gaul haut man nicht aufs Maul“ Jünter scheinbar einen Faustschlag versetzt, gehört das ebenfalls in die Kategorie Spaß. Und wenn Keller irgendwann auf die Idee kommen sollte, Jünter vermeintlich solange zu würgen, bis er, also Jünter, vor einer Apotheke kotzen sollte, dann ist auch das witzig.

Nun hat sich Keller beim Spiel gegen Bielefeld nicht nur am Maskottchen vergangen, sondern auch Mitspieler Bögelund die Hose heruntergezogen, so dass dieser mit blankem Hintern dastand. Nach kurzer Überprüfung hat auch diese Aktion die Fohlenkommando-Humor-TÜV-Plakette erhalten, auch wenn die Rheinische Post das ganz anders sieht. Sie fragt, ob „ein nackter Po tatsächlich die Art und Weise ist, in der sich Borussia in der Öffentlichkeit präsentieren will.“ Eine berechtigten Frage auf die man nur antworten kann: „Warum eigentlich nicht?“ Der Verein stand schon mit heruntergelassenen Hosen (nach der Ära Rüssmann) und mit vollen Backen (bei den ungezählten nicht realisierten Stadionprojekten) da, warum nicht jetzt mit blanken Hintern? Schließlich sind sowohl Fußball als auch nackte Hintern Unterhaltung und das nicht mal die schlechteste. Keine Unterhaltung hingegen ist es, liebe Rheinische Post, schwarzweiße Fotos abzudrucken, die einen Fahrradständer im Sonnenlicht zeigen und mit „Schattenspiele, Foto: Lothar Strücken“ unterschrieben sind.

Taktik und Konstanz

Vor einem jeden Fußballspiel hat der Trainer zwei Fragen zu beantworten: Welche Spieler stelle ich auf und in welcher taktischen Formation lasse ich diese Spieler (möglichst erfolgreich) agieren? Horst Köppel hat zu den Spielen der Rückrunde auf die zweite Frage bislang drei und auf die erste Frage sehr viel mehr Antworten gefunden.
Nachdem Köppel in der Hinrunde fast ausnahmslos ein 4-4-2 praktizierte, versuchte Köppel in der Rückrunde daneben auch mal ein 3-5-2 (Köln, Bremen) und ein 4-3-3 (Wolfsburg). Bei den Spielern wechselte Köppel ebenfalls kräftig durch. Exemplarisch sei hier nur die Sechserposition genannt. Auf ihr durften sich El Fakiri (Bayern), Thijs (Wolfsburg), Oude Kamphuis (gegen Schalke eingewechselt), Kluge (Köln) und ansonsten Polanski (restliche Spiele) versuchen.
Alle Umstellungen sind im Grunde mehr oder weniger nachvollziehbar. Dass gegen Bremens K & K-Sturm mit Strasser in der Abwehr eine zusätzliche Sicherung eingebaut wurde, ist verständlich. Nachteilig wirkte sich jedoch aus, dass Jansen dadurch ins Mittelfeld rückte, obwohl er als Linksverteidiger seine stärksten Leistungen gezeigt hat. Auch ist es verständlich, wenn Köppel das teilweise spielschwache Mittelfeld personell aufstockt. Diese Maßnahme hat gegen die dezimierten Kölner gefruchtet, gegen Bremen nicht. Insgesamt hatte man aber das Gefühl, dass sich die Mannschaft mit der bewährten Raute im Mittelfeld wohler fühlt. Schließlich ist es auch im Sturm plausibel, anstatt mit zwei Stürmern mit deren drei spielen zu lassen. Immerhin hat man mit Neuville und Rafael zwei schnelle Spieler, die die Außenpositionen bekleiden können und Sonck wird ja eine gewisse Kopfballstärke nachgesagt, die ihn als Mittelstürmer qualifizieren würde.
Wie sollte Borussia also spielen? Um es gleich vorweg zu nehmen: Wer hier eine umfassende Antwort auf die oben genannten Fragen erwartet, wird enttäuscht werden. Nicht umsonst steht oben, dass der Trainer diese Fragen beantworten muss und das aus gutem Grund. Er kennt die Mannschaft am besten, er hat jahrzehntelange Erfahrung und er hat einen Trainerschein des DFB.
Aus der Ferne beobachtet kann man aber erkennen, welche Taktik den größten Erfolg gebracht hat. Dabei fällt auf, dass die taktischen Wechselspiele die Mannschaft eher verwirrt haben und Erfolge hauptsächlich dann eingefahren wurden, wenn Köppel wieder auf Altbewährtes zurückgegriffen hat, zum Beispiel gegen Bielefeld.
Auch die Erfahrung lehrt, dass häufige taktische Umstellungen sich oft kontraproduktiv auswirken. Hans Meyer ließ über Jahre ein klassisches 4-3-3 mit wenigen personellen Veränderungen spielen. Ab Ende 2002 wählte er oftmals ein 4-4-2 und wechselte die Spieler munter durch – leider mit sinkendem Erfolg. Vor drei Jahren erklärte er dann seinen Rücktritt und hinterließ die Mannschaft auf einem Abstiegsplatz.
Es ist also Konstanz gefragt. Wenn Köppel sich auf seine Taktik verlässt und dadurch stetig Erfolg hat, wird auch die Person des Trainers eine Konstante bleiben.

6.3.06

Faserland ist abgebrannt

Der Disziplin der Volkswirtschaftslehre wird häufig ein gewisser Drang zum Imperialismus nachgesagt. Gemeint ist damit, dass es mitunter Ökonomen gibt, die sich nicht scheuen, ihre Werkzeuge auch auf Gebiete weitab des eigentlichen Wirtschaftslebens anzuwenden. Von "Atomkrieg bis Zähneputzen" ist der Profession wenig fremd.

Nun hat ein Ökonom der Weltbank, Branko Milanovic, ein ökonomisches Modell der Globalisierung des Fußballs vorgestellt, das klare Lehren für die Situation des deutschen Fußballs zulässt. Kurz zusammengefasst, stellt Milanovic eine Produktionsfunktion für Fußballligen auf, wobei als Output die Anzahl der geschossenen Tore eine Näherung des Erfolges im Fußball darstellt. Die verschiedenen Ligen werden anhand ihrer "Fußballgröße", also des Anteils der im Fußball aktiven Bevölkerung, nach der jeweiligen Qualität der Spieler geordnet. Nun kommt eine entscheidende Besonderheit des Geschäfts ins Spiel: während in den Klubwettbewerben eine (fast) absolute Freizügigkeit von Spielern herrscht, ist die Ebene der Nationalmannschaften stark reglementiert: kein Spieler kann das Land wechseln, wenn er einmal für eine bestimmte Nationalmannschaft aufgelaufen ist. In der Globalisierung des Fußballs hat das nun zur Folge, dass Spieler aus "schlechten" Fußballnationen in die Ligen der "guten" wechseln, dort für Vereine spielen, aber immer noch nur für ihr Heimatland bei Welt- und Europameisterschaften. Wenn man nun weiterhin davon ausgeht, dass das Können von Fußballspielern zunimmt, wenn sie mit besseren zusammenspielen, wird sich auch das Niveau der schlechten Nationalmannschaften anheben. Dies ergibt sich daraus, dass einige gute Spieler in "großen" Ligen spielen, sich verbessern und mit höheren Fertigkeiten zu ihren Nationalmannschaften zurückkehren. Das beste Beispiel ist wohl die Elfenbeinküste, die ihre erstmalige WM-Qualifikation zu großen Teilen ihres Stürmers Didier Drogba zu verdanken hat, der im Hauptberuf bei Chelsea regelmäßig mit und gegen die Besten der Welt spielt. Dieses Modell ist also ein ökonomischer Beweis der Stammtischweisheit: "Es gibt keine kleinen Gegner mehr". Milanovic bringt einige empirische Beweise zur Untermauerung der These. So ist bei Weltmeisterschaften die Tordifferenz zwischen den Eliteteams und allen anderen in den letzten fünfzig Jahren um die Hälfte zurückgegangen.
Es bleibt also festzuhalten, dass der Globalisierungseffekt im Fußball die kleinen, schlechteren Auswahlmannschaten besser werden lässt.

Soweit so gut. Wo kommt Deutschland ins Spiel? Nicht nur, dass die Deutschen in letzter Zeit häufig gegen die (alten) Kleinen schlecht ausgesehen haben, sondern auch, dass sie schon lange nicht mehr gegen einen Großen gewinnen konnten. Das Grundproblem, das bei den Stammtischen notorisch vernachlässigt wird, ist, dass die deutschen Spieler mittlerweile zu wenig an der oben beschriebenen Globalisierung teilhaben. Der Grund für diese Ignoranz ist das immer noch felsenfeste Glaubensbekenntnis, die Liga könne noch mit der italienischen, spanischen und englischen mithalten. Im Kader der Nationalelf hingegen stehen derzeit nur zwei "Legionäre", wobei einer für seinen Verein fast nie spielt. Doch Huth weiß sehr genau, dass ihn das Training bei Chelsea weiterbringt als regelmäßige Spiele in der Bundesliga, und sei es für Bayern München. Bei der WM 1990 spielten die Leistungsträger der deutschen Siegermannschaft alle bei italienischen Klubs. Warum das jetzt nicht mehr so ist, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden, aber die Frage sei erlaubt: ja, ist denn Deutschland überhaupt noch einer der "Großen"? Ich sage, es wird immer kleiner werden, wenn nicht ein paar Spieler schleunigst die Herausforderung, in einer anderen Liga zu spielen, annehmen. Die alte Freundin aus der B-Jugend können sie ja mitnehmen.

2.3.06

Diekmann und Draxler, übernehmen Sie! Polemik eines verzweifelten Fan

Sehr verehrte Freunde des spochtverbunden Vergnügens,

der Jürgen und der Yogi, sie haben es wirklich gut gemeint mit uns und dem deutschen Fußball. Sie wollten verkrustete Strukturen aufbrechen, einen totalen Neuanfang wagen, kompromißlos sein und uns junge, hoffnungsvolle Gesichter zur Weltmeisterschaft im eigenen Land bescheren. Wörns, Ramelow, Nowotny, Scholl, Hamann, Jancker... einmal zu oft waren sie über den Platz gestolpert und hatten dabei sich selbst und die stolze Fußballnation der Lächerlichkeit preisgegeben. Das wollte keiner mehr sehen.

Und anfangs waren alle ja auch total begeistert. Gut, fast alle. Die Geriatriker in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise waren sich vielleicht nicht ganz sicher, ob die Entscheidung mangels Alternativen nur aus der Not geboren oder tatsächlich richtig war. War ja auch nicht gerade leichte Kost, die da von den beiden Schwaben aufgetischt wurde. Fitnessgurus aus den USA halfen Schweini und Poldi mit Gummitwist beim öffentlichen Training auf die Sprünge. Ein Chefscout aus der Schweiz erklärte plötzlich, wie moderner Fußball funktioniert. Und der Jürgen, der Yogi und der Olli kommunizierten das unter der Woche in Video- und Mailkonferenzen. Ganz schön starker Tobak!

Hinter vorgehaltener Hand wurde darüber ein bißchen gemosert und genörgelt, aber man ließ die drei Musketiere erst einmal gewähren und spätestens der Confederations Cup im vergangenen Sommer brachte dem staunenden Beobachter scheinbar die Erkenntnis: „Wir haben schon jetzt eine Hand am Pokal!“

Nicht so schnell, verehrte Freunde des spochtverbundenen Vergnügens. Anscheinend hatte der Jürgen in Kalifornien schon vergessen, wie unangenehm grau, kalt und schroff der deutsche Herbst sein kann. Eine Niederlage gegen die Slowakei, dann zwei Buden von den Südafrikanern eingeschenkt bekommen, gegen die Türkei verloren (zu diesem Zeitpunkt wußte der Schweizer Analytiker wohl noch nicht, wie man in der Türkei bestehen kann), ein unsägliches Gegurke gegen China und zum Abschluß ein torloses Unentschieden gegen Frankreich. Ganz schnell wurde die angenehm deutsche Betriebstemperatur wieder hergestellt und die freundliche Bräune war aus „dem Jürgen seinem“ strahlendem Gesicht verschwunden.

Als dann obendrein auch noch ein erfahrener Hockey(!)trainer zum Sportdirektor gemacht werden sollte, wurde es dem Zentralkomitee zu bunt. Den Kadern schwante: „Das kann nicht klappen.“ Genug der Mätzchen, der Titel ist in ernster Gefahr. Jetzt müssen Kerle her, gestandene Fußballer, Gewinnertypen mit Stallgeruch. Die Zeiten der Experimente sind vorbei. Wer bei „Jugend forscht“ gut abschneidet, der wird nicht automatisch auch Nobelpreisgewinner. Und wohlweislich jetzt auch noch das! 4:1 von den Azzuris abgefiedelt. Unglaublich! Das muß ein italienischer Rekord sein. Mit mehr als zwei geschossenen Toren gewonnen? Kam wohl schon mal vor, muß aber lange her sein.

So, und jetzt? Jetzt muß der Karren aber mal schleunigst aus dem Dreck gezogen werden. Wenn der Jürgen, der Yogi und der Olli lieber forschen möchten, statt uns zu Weltmeistern zu machen, dann hilft eben nur noch Kampagnenjournalismus. Herr Diekmann, Herr Draxler, helfen Sie uns! Die WM im eigenen Lande kann doch nicht so ohne weiteres abgeschenkt werden. Schließlich sind wir alle Deutschland, Papst und ab dem 09.07.2006 wollen wir auch endlich wieder Weltmeister sein! Die Lage ist ernst und wir können nicht darauf vertrauen, daß wir, wie schon so oft, auch dieses Mal deutsch und tugendhaft auf der Welle der Euphorie ins Finale gespült werden. In unserer modernen, globalisierten Welt können wir keine weiteren vier Jahre darauf verschwenden, junge, entwicklungsfähige Athleten zu potentiellen Spitzenfußballern auszubilden. Die Konkurrenz schläft schließlich nicht und spätestens auf Island haben wir schmerzlich erfahren müssen, daß es keine Fußballzwerge mehr gibt. Alles ganz schön großer Mist und Käse.

Die große Chance ist endlich gekommen, in nur drei Wochen alle Probleme der Nation vom Tisch zu fegen. Die Weltmeisterschaft soll endlich Arbeitsplätze schaffen, die Wirtschaft wird sich noch wundern, die Kanzlerin bereitet sich schließlich auch schon akribisch auf das große Ereignis vor und über das Hartz IV und Pisa geplagte Volk soll sich, dank einer erfolgreichen Fußball-WM, hektoliterweise wohltuendes Selbstvertrauen wie ein warmer Sommerregen ergießen. Dann klappt's auch mit dem Aufschwung. So werden große Aufgaben bewältigt. In nur sieben Fußballspielen. Martin Sonneborn und Franz Beckenbauer sollen nicht vergebens für die WM gekämpft haben.

In meiner Verzweifelung wende ich mich an Sie und fordere Sie hiermit auf: Schreiben Sie uns endlich zum Titel! Wer, wenn nicht Sie, kann dem Wahnsinn noch ein Ende bereiten? Christoph Daum muß jetzt endlich Nationaltrainer werden, Lothar Matthäus, auf ihren Druck, seinen Brasilienurlaub für ein paar Wochen unterbrechen und im Sommer noch einmal die Stiefel schnüren und die roten Trikots gehören definitiv in die Altkleidersammlung verbannt! „Herr und Meister, hör mich rufen! - Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“ Stoppen Sie die Zauberlehrlinge, bevor es zu spät ist!

Einiges haben wir ertragen, z.B. Geoff Hurst in Wembley, Jürgen Sparwasser in Hamburg, Hansi Krankl in Cordoba, Yordan Letchkow in New York oder Davor Suker in Lyon, um nur mal ein paar Namen zu nennen. Soll jetzt auch noch Augustin Delgado in Berlin dazukommen? Darauf können wir verzichten!

Wenn der Jürgen aus dem gestrigen Spiel keine Konsequenzen ziehen möchte, dann tun Sie das bitte rechtzeitig für ihn. Karl Kraus meinte: „Der Journalist ist immer einer, der nachher alles vorher gewußt hat.“ Mag sein, aber Kraus kannte die alte Binsenweisheit „nach dem Spiel, ist vor dem Spiel“ nicht und der nächste Gegner ist bekanntlich immer noch der Schwerste.

Mit sportlichem Gruß