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Diekmann und Draxler, übernehmen Sie! Polemik eines verzweifelten Fan

Sehr verehrte Freunde des spochtverbunden Vergnügens,

der Jürgen und der Yogi, sie haben es wirklich gut gemeint mit uns und dem deutschen Fußball. Sie wollten verkrustete Strukturen aufbrechen, einen totalen Neuanfang wagen, kompromißlos sein und uns junge, hoffnungsvolle Gesichter zur Weltmeisterschaft im eigenen Land bescheren. Wörns, Ramelow, Nowotny, Scholl, Hamann, Jancker... einmal zu oft waren sie über den Platz gestolpert und hatten dabei sich selbst und die stolze Fußballnation der Lächerlichkeit preisgegeben. Das wollte keiner mehr sehen.

Und anfangs waren alle ja auch total begeistert. Gut, fast alle. Die Geriatriker in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise waren sich vielleicht nicht ganz sicher, ob die Entscheidung mangels Alternativen nur aus der Not geboren oder tatsächlich richtig war. War ja auch nicht gerade leichte Kost, die da von den beiden Schwaben aufgetischt wurde. Fitnessgurus aus den USA halfen Schweini und Poldi mit Gummitwist beim öffentlichen Training auf die Sprünge. Ein Chefscout aus der Schweiz erklärte plötzlich, wie moderner Fußball funktioniert. Und der Jürgen, der Yogi und der Olli kommunizierten das unter der Woche in Video- und Mailkonferenzen. Ganz schön starker Tobak!

Hinter vorgehaltener Hand wurde darüber ein bißchen gemosert und genörgelt, aber man ließ die drei Musketiere erst einmal gewähren und spätestens der Confederations Cup im vergangenen Sommer brachte dem staunenden Beobachter scheinbar die Erkenntnis: „Wir haben schon jetzt eine Hand am Pokal!“

Nicht so schnell, verehrte Freunde des spochtverbundenen Vergnügens. Anscheinend hatte der Jürgen in Kalifornien schon vergessen, wie unangenehm grau, kalt und schroff der deutsche Herbst sein kann. Eine Niederlage gegen die Slowakei, dann zwei Buden von den Südafrikanern eingeschenkt bekommen, gegen die Türkei verloren (zu diesem Zeitpunkt wußte der Schweizer Analytiker wohl noch nicht, wie man in der Türkei bestehen kann), ein unsägliches Gegurke gegen China und zum Abschluß ein torloses Unentschieden gegen Frankreich. Ganz schnell wurde die angenehm deutsche Betriebstemperatur wieder hergestellt und die freundliche Bräune war aus „dem Jürgen seinem“ strahlendem Gesicht verschwunden.

Als dann obendrein auch noch ein erfahrener Hockey(!)trainer zum Sportdirektor gemacht werden sollte, wurde es dem Zentralkomitee zu bunt. Den Kadern schwante: „Das kann nicht klappen.“ Genug der Mätzchen, der Titel ist in ernster Gefahr. Jetzt müssen Kerle her, gestandene Fußballer, Gewinnertypen mit Stallgeruch. Die Zeiten der Experimente sind vorbei. Wer bei „Jugend forscht“ gut abschneidet, der wird nicht automatisch auch Nobelpreisgewinner. Und wohlweislich jetzt auch noch das! 4:1 von den Azzuris abgefiedelt. Unglaublich! Das muß ein italienischer Rekord sein. Mit mehr als zwei geschossenen Toren gewonnen? Kam wohl schon mal vor, muß aber lange her sein.

So, und jetzt? Jetzt muß der Karren aber mal schleunigst aus dem Dreck gezogen werden. Wenn der Jürgen, der Yogi und der Olli lieber forschen möchten, statt uns zu Weltmeistern zu machen, dann hilft eben nur noch Kampagnenjournalismus. Herr Diekmann, Herr Draxler, helfen Sie uns! Die WM im eigenen Lande kann doch nicht so ohne weiteres abgeschenkt werden. Schließlich sind wir alle Deutschland, Papst und ab dem 09.07.2006 wollen wir auch endlich wieder Weltmeister sein! Die Lage ist ernst und wir können nicht darauf vertrauen, daß wir, wie schon so oft, auch dieses Mal deutsch und tugendhaft auf der Welle der Euphorie ins Finale gespült werden. In unserer modernen, globalisierten Welt können wir keine weiteren vier Jahre darauf verschwenden, junge, entwicklungsfähige Athleten zu potentiellen Spitzenfußballern auszubilden. Die Konkurrenz schläft schließlich nicht und spätestens auf Island haben wir schmerzlich erfahren müssen, daß es keine Fußballzwerge mehr gibt. Alles ganz schön großer Mist und Käse.

Die große Chance ist endlich gekommen, in nur drei Wochen alle Probleme der Nation vom Tisch zu fegen. Die Weltmeisterschaft soll endlich Arbeitsplätze schaffen, die Wirtschaft wird sich noch wundern, die Kanzlerin bereitet sich schließlich auch schon akribisch auf das große Ereignis vor und über das Hartz IV und Pisa geplagte Volk soll sich, dank einer erfolgreichen Fußball-WM, hektoliterweise wohltuendes Selbstvertrauen wie ein warmer Sommerregen ergießen. Dann klappt's auch mit dem Aufschwung. So werden große Aufgaben bewältigt. In nur sieben Fußballspielen. Martin Sonneborn und Franz Beckenbauer sollen nicht vergebens für die WM gekämpft haben.

In meiner Verzweifelung wende ich mich an Sie und fordere Sie hiermit auf: Schreiben Sie uns endlich zum Titel! Wer, wenn nicht Sie, kann dem Wahnsinn noch ein Ende bereiten? Christoph Daum muß jetzt endlich Nationaltrainer werden, Lothar Matthäus, auf ihren Druck, seinen Brasilienurlaub für ein paar Wochen unterbrechen und im Sommer noch einmal die Stiefel schnüren und die roten Trikots gehören definitiv in die Altkleidersammlung verbannt! „Herr und Meister, hör mich rufen! - Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“ Stoppen Sie die Zauberlehrlinge, bevor es zu spät ist!

Einiges haben wir ertragen, z.B. Geoff Hurst in Wembley, Jürgen Sparwasser in Hamburg, Hansi Krankl in Cordoba, Yordan Letchkow in New York oder Davor Suker in Lyon, um nur mal ein paar Namen zu nennen. Soll jetzt auch noch Augustin Delgado in Berlin dazukommen? Darauf können wir verzichten!

Wenn der Jürgen aus dem gestrigen Spiel keine Konsequenzen ziehen möchte, dann tun Sie das bitte rechtzeitig für ihn. Karl Kraus meinte: „Der Journalist ist immer einer, der nachher alles vorher gewußt hat.“ Mag sein, aber Kraus kannte die alte Binsenweisheit „nach dem Spiel, ist vor dem Spiel“ nicht und der nächste Gegner ist bekanntlich immer noch der Schwerste.

Mit sportlichem Gruß