Auswärtsstark (23)
In unregelmäßgen Abständen berichten die Schreiberlinge des FohlenKommandO über ihre Groundhopper-Erlebnisse aus anderen Ligen, anderen Ländern. Heute: SC Fortuna Köln - U23 Alemannia Aachen, NRW-Liga, 18.09.2009, 650 Zuschauer, Südstadion.
En d’r Südstadt jeit et Leech (fast) aus...
Weder aus dem Fußballgeschäft noch in Köln ist die Fortuna natürlich je ganz verschwunden gewesen, selbst wenn sich eher unbeteiligte oder desinteressierte Domstädter in den letzten Jahren vielleicht desöfteren die Frage gestellt haben mögen: «Was macht eigentlich Fortuna? Gibt’s die noch?» - «Ääähh, ja, 5. oder 6. Liga oder so, glaube ich», vielmehr gab’s dazu von wenig fachkundiger Seite nicht zu sagen. Der SC Fortuna Köln, zu Beginn dieser Bundesligasaison noch immer Anführer der «ewigen» Zweitligatabelle (26 Jahre, 1376 Punkte, aber dicht auf den Fersen: Alemannia Aachen), fristet zwar seit dem Abstieg aus dem bezahlten Fußball im Jahr 2000 ein eher bescheidenes Leben in den Niederrungen des Amateurfußballs (Regionalliga, Oberliga Nordrhein inkl. freiwilligem Rückzug, Verbandsliga Mittelrhein inkl. erstem Aufstieg nach 35 Jahren in die NRW-Liga), mußte seitdem die finanzielle Pleite und den Tod des langjährigen Lebensretters und ungemein polarisierenden Präsidenten Jean »Schäng» Löring verkraften, ist aber eben trotzdem nie ganz von der Bildfläche verschwunden; allerdings immer haarscharf am Exodus vorbeigeschrammt. Stets gelobt für die gute und breitgefächerte Jugendarbeit, gemocht als sympathische Underdogs, stiefschwesterlich belächelt von den FC-Fans und stets auch mangels Möglichkeiten bemitleidet. Diejenigen für die es kein Leben ohne Fortuna gibt sind natürlich trotz aller Widrigkeiten und Schicksalsschläge weiterhin hingegangen, nur waren es eben nicht mehr viele. Ich kenne diese Sätze aus den Kneipen meines Klettenberger Veedels: «Wo kütts do dann he? Fortuna? Da wor isch fröher och immer!»
«Fröher», dieses Früher, das scheint mittlerweile mehr als eine kleine Ewigkeit her zu sein, bei genauer Betrachtung ist es etwas über neun Jahre her das ich zum ersten Mal den Weg ins Südstadion fand. 32. Spieltag, 18.05.2000, ein lauer Donnerstagabend, Stehplatz Mitte, 15,- DM, Borussias erste Zweitligasaison; Gladbach mußte damals gewinnen, um noch eine theoretische Restchance auf den direkten Wiederaufstieg zu wahren und dem FC zurück ins Oberhaus zu folgen, Fortuna war bereits so gut wie abgestiegen. Damals siegten die Fohlen vor rappelvollem Haus mit 2:1, Nielsen und Klinkert trafen für Gladbach, der Ex-Borusse Mac Younga zum zwischenzeitlichen Ausgleich für die Fortuna, damals noch trainiert vom legendären Krankl, Hans. In den Folgejahren habe ich mich ehrlich gesagt eher mal ins Südstadion verirrt, um zu sehen was los ist. Sonntagnachmittag, schönes Wetter, man fährt zufällig am Südstadion vorbei, es wird gerade gespielt, schaut man halt mal rein. So oder so ähnlich. Es war nett, hatte immer Charme und wenn man als Mönchengladbacher mit Wohnsitz in Köln hier schon zum Fußball gehen will, dann bleibt ja nur noch das Südstadion. Sympathisant der Fortuna zu sein ist nicht nur unverfänglich, es scheint ja geradezu heilige Pflicht, die Konkurrenz, das ewige und kleine Pendant zum großen FC ein wenig zu unterstützen.
Erst die «freundliche Übernahme» 2008, respektive Kooperation, mit deinfussballclub.de (DFC), nach dem Vorbild des britischen Ebbsfleet United haben zahlende, externe Personen ein eingeschränktes Mitspracherecht, hat den Traditionsklub (in diesem Fall darf man diese andernorts sehr leichtfertig gebrauchte Floskel wohl getrost benutzen) aus dem Kölner Südwesten wieder ins öffentliche Gedächtnis zurückgebracht und ihm möglicherweise auch (mal wieder) das sportliche Überleben garantiert. 10.577 Mitglieder zählt DFC mittlerweile weltweit und laut Finanzplan stehen diese Saison Einnahmen von 568.000 € gegenüber Ausgaben von 567.200 € zu Buche. Da 30 Euro des 39,95 teuren Jahresmitgliedsbeitrages direkt an die Fußabteilung gehen, können bis jetzt 317.310 € direkt in den Spielbetrieb der Fußballabteilung fließen. Ein Aufbruch zu besseren Zeiten? In dieser Saison konnte die Fortuna allerdings noch kein einziges Heimspiel gewinnen. Ausgesprochen Auswärtsstark präsentieren sich die Fortunen hingegen mit drei gewonnen Partien, aber das alleine qualifiziert sie noch nicht für ein Portrait in unserer Reihe.
In der Südstadt jeit et Leech an...
Ein spätsommerlich warmer Freitagabend, blue hour, Flutlicht, schönere Fußballatmosphäre geht eigentlich nicht. Der Stadionsprecher begrüßt die 650 Fans zum Heimspiel gegen die 2. Mannschaft von Alemannia Aachen in der «Anti-Arena» Südstadion. Ein netter Seitenhieb, allerdings ist nicht so ganz klar ob er das ernst meint oder nicht. Jedem Fußballtraditionalisten, wie wir es beim FohlenKommandO nun mal sind, muß im Südstadion vor lauter Freude über das alte Stadion das Herz in der Brust hüpfen. (Ob das die alteingesessenen Fans nach all den Jahren noch genauso sehen, wer weiß, aber die Verantwortlichen schätzen diesen typischen Charme vergangener Jahre mit Sicherheit nicht als ausgemachte Goldgrube.) Mir soll’s aber egal sein. Hier halten noch Stahlzäune vor den Stehplatzblöcken die Fans von der Tartanbahn fern, überdacht ist nur die Tribüne, es gibt natürlich eine Anzeigentafel statt Screen oder Würfelgedöns, die Minilautsprecher plärren und scheppern schön knarzig, kurzum: es gibt noch all die schönen Dinge, die sonst überall radikal den großkopferten Sanierungs- und Erneuerungsplänen zum Opfer fallen. Alles eben notgedrungen old-school.
Vor dem Spiel noch rasch ein netter Plausch mit dem 1. Vorsitzenden Klaus Ulonska (während des Spiels immer mit der Sammelbüchse für die Nachwuchsabteilung auf den Rängen unterwegs. Man stelle sich mal Herrn Königs in der Nordkurve mit dem Sparschwein für die Glasverkleidung im Borussia-Park vor!) über das bevorstehende Spiel und am Ende folgt seine etwas kryptische Ansage: «Letzte Chance heute!» Wir schreiben zwar erst den 10. Spieltag, aber der bedeutungsschwangere Fingerzeig auf sein Herz macht klar, was er damit meint. Sollte heute daheim der Knoten nicht endlich platzen, dann wird es in der recht ausgeglichenen Liga verdammt schwer, die vorderen Plätze zu attackieren um im Aufstiegsrennen noch mitzumischen. Die Nerven sind daher recht angespannt, ausgeprägtes Herzkammerflimmern inklusive.
Hernach ein kurzer Blick auf die Aufstellung und das Wiedersehen mit dem Ex-Borussen und Neuzugang Cengiz Can. Einlauf, Winken, Anpfiff. Es folgt ein recht druckvoller Beginn beider Teams und Aachen kommt zu einer ersten guten Chance, die aber von Fortunas Keeper Niklas Blech gerade noch so abgefischt werden kann. Kurz darauf der ehemalige Horst Wohlers-Schützling Can im Pech, dieses Mal bewahrt der rechte Außenpfosten die Aachener vor einem frühen Rückstand. Danach verflacht das Spiel ein wenig und jetzt dürfen die Damen und Herren auf der Tribüne mit ihren Zwischenrufen («Stadt-Anzeiger raus!») für ein wenig selbstgemachte Unterhaltung auf den Rängen sorgen. Ungleich weniger lustig ist die Dauerbeschallung des 1. Kölner-Oktoberfest auf dem Vorgebirgsplatz gleich neben dem Stadion. Es sei denn, man wollte schon immer mal das Lasso rausholen, um damit das rote Pferd einzufangen.
In der 26. Minute ebnet dann einer der zahlreichen Aachener Konter den Weg zum Torerfolg durch Uludag. Eine schöne Ballstaffage von der rechten zur linken Platzseite und wiederum satt abgeschlossen ins lange Eck führt zur 0:1 Führung. Die nächste Schrecksekunde folgt auf dem Fuße: Der Kölner Keeper kann mit einer tollen Flugeinlage das direkte 0:2 erst einmal verhindern, aber nur wenige Momente später fällt in der 28. Minute das 0:2 durch Engelbrecht. Doppelschlag, kurz, schmerz- und humorlos. Die Fortuna ist nun sichtlich schockiert und findet kaum ein Mittel durch das kompakt gestaffelte Mittelfeld der Aachener und wenn mittels langer Bälle versucht wird jenes zu überbrücken, dann sind die Flanken entweder zu scharf für eine gescheite Ballannahme oder schlicht zu ungenau. Insgesamt wirkt die Mannschaft von Trainer Matthias Mink zwar verbissen bemüht, aber doch recht ideenlos, was in der Konsequenz schließlich zu einer ruppigeren Spielweise führt. Der Frust über die erneut drohende Heimschlappe macht sich jetzt deutlich bemerkbar.
Auch auf den Rängen wird die Stimmung nun etwas aggressiver. Die Dauerbrüller von der Tribüne lassen ihrem angesammelten Frust über das Ergebnis nun freien Lauf («2. Halbzeit, sind wir nicht mehr hier!»), auch wenn sie das wahrscheinlich nicht mal selber glauben. Den Glauben, das Spiel könne aus Kölner Sicht doch noch ein gutes Ende finden, schenkt den Schreihälsen mit den hochroten Köpfen kurz vor der Pause dann Cengiz Can mit seinem Anschlußtreffer in der 44. Minute, quasi mit dem Halbzeitpfiff, wieder zurück. Nach einem abgeblockten Schuß gelingt es ihm in einem wüsten Gestochere im Fünfmeterraum den Ball zu erwischen und an Torwart und Verteidiger vorbei ins Netz zu bugsieren. Dann ist Halbzeit und die gestaltet sich für Stehplatzfans der Fortuna durchaus angenehm. Im Südkurvenbereich wird, wohl durch das erfreuliche Engagement des Fanclubs S.C. Mülltonn, vor, während und nach dem Spiel auf turntables Musik aufgelegt die sich erfreulich deutlich vom sonst in deutschen Stadien üblichen Gedudel abhebt. An diesem Abend unter anderem Billy Bragg oder auch die neue Jan Delay-Single. Sehr schön! Wobei man in dieser Hinsicht auch der offiziellen Beschallung von der Westtribünenseite keinen Vorwurf machen kann.
Kurz nach Wiederanpfiff steht Can schon wieder im Mittelpunkt des Geschehens, er bringt den Ball aber nur an die Querlatte. Was ein schnelles Ausgleichstor der Fortuna an diesem Abend alles hätte bewirken können kann man nur vermuten. Es hagelt nun Großchancen, aber die Kölner überbieten sich im Auslassen derselbigen und es dauert schließlich bis zur 69. Minute als Kevin Kruth das hitzige Spiel egalisieren kann. Das aufwendige Spiel hat beide Teams sichtlich Kraft gekostet und fast könnte man glauben, die Fortunen könnten die schlapp wirkenden Youngster in Schwarz-gelb nun mit der Brechstange in die Knie zwingen. Die Tribüne feiert nun frenetisch jeden gewonnen Zweikampf und jeden langen Ball nach vorne, aber in die Bemühungen der Kölner fällt aus dem Nichts in der 74. Minute das 2:3 für die Gäste durch Muhovic. Bitter! Und weil scheinbar nur zur Fortuna geht, wer richtig leiden kann oder will, lassen die Aachener auch in der 2. Halbzeit wieder einen herben Doppelschlag mitten in die Kölner Bemühungen folgen. Wilschrey macht in der 76. Minute mit dem 2:4 den Sack zu. Business as usual. Man kann sich an alles gewöhnen, auch wenn man nicht sollte.
Was ist da nur los? Während die Kölner alles nach vorne werfen, um endlich die Früchte ihrer Arbeit ernten zu können, werden sie im eigenen Stadion eiskalt ausgekontert. Und am Ende kommt auch wiederholt großes Pech hinzu. Kevin Kruth trifft wiederum nur den Pfosten. Dann ist Schluß und die Stimmung natürlich im Keller. Trainer Matthias Mink darf sich eine gellende Pfeif- und Brüllorgie anhören und als «Bundestrainer Mink» verhöhnen lassen. Ja, so isser, der gemeine Fan. Der Übungsleiter bleibt trotzdem relativ ruhig und sachlich. Auf der anschließenden Pressekonferenz, die wohl auch zur Beruhigung der aufgebrachten Fans vor der Tribüne stattfindet, analysiert er gerecht die Lage. Die Fortuna habe einfach zu viel und zu aufwendig gespielt, um am Ende die Nase vorn zu haben. Wären die Borussen am Vorabend des allzu grausamen Hoffenheim-Spiels als Zaungäste im Südstadion gewesen, Minks Worte hätten ihnen eine lehrreiche Warnung sein können.
In der Südstadt jeit et Leech aus... bis zum nächsten Spieltag
Am Ende darf festgehalten werden: Der Besuch im Südstadion hat sich trotz der Niederlage mal wieder gelohnt. Ein Flutlichtspiel, 90 emotionsgeladene Minuten Fußball, wenn auch nicht immer vom Feinsten, aber wenigstens kernig und ehrlich; eine treue und recht alternative Fanszene und ein Projekt, welches Lust auf mehr weckt. Wer keinen Bock auf sündhaft teure Tickets im Profibereich hat und Fußball fernab des ganzen nervigen Werbe-, völlig überflüssigen Merchandise- und gänzlich übertrapazierten Medienzinnober mal wieder von der ursprünglicheren Warte aus erleben will, der ist im Südstadion genau richtig aufgehoben. Zumindest noch. Wer darüber hinaus noch mitreden will, dem sei der DFC empfohlen. Natürlich wird auch hier die etablierte Marke Fortuna genutzt und beworben, werden Trikots, Schals- und Kaffeetassen verkauft, aber es hält sich alles im Rahmen und die schillernde, bunte Plastikwelt des Profifußballs ist eben noch mindestens eine weitere Liga entfernt. Das vielerorts zu beobachtende Verlangen nach ursprünglicher und authentischer Fußballkultur, nach Mitgestaltung und Selbstverwaltung, wird hier recht offenherzig gelebt. Und alle scheinen sich, auch wenn sie sich während der 90 Minuten mitunter schwarz geärgert haben, kurz darauf beim Bier schon wieder ganz gut amüsieren zu können. Ett hätt schließlich noch immer irgendwie jotjejange!
Bisher in dieser Reihe erschienen:
Auswärtsstark (22): FC Sachsen Leipzig - Rasenball Leipzig
Auswärtsstark (21): FSV Frankfurt - Werder Bremen
Auswärtsstark (20): Albanien - Ungarn
Auswärtsstark (19): 2. Rheinland - Cup
Auswärtsstark (18): Deutschland - England
Auswärtsstark (17): Georgien - Irland
Auswärtsstark (16): Griechenland - Armenien
Auswärtsstark (15): Arsenal - FC Liverpool
Auswärtsstark (14): Österreich - Deutschland
Auswärtsstark (13): Ungarn - Griechenland
Auswärtsstark (12): FC TVMK Tallinn - FC Levadia Tallinn
Auswärtsstark (11): LASK Linz - Cashpoint SCR Altach
Auswärtsstark (10): Preußen Münster - SV Schermbeck
Auswärtsstark (09): SV Wehen Wiesbaden - VfB Stuttgart
Auswärtsstark (08): Red Bull New York - Chicago Fire
Auswärtsstark (07): Borussia Mönchengladbach II - FC St. Pauli
Auswärtsstark (06): Bayer Leverkusen - CA Osasuna
Auswärtsstark (05): Bayer Leverkusen II - FC St. Pauli
Auswärtsstark (04): Eintracht Frankfurt - Newcastle United
Auswärtsstark (03): Öffentliches Training des 1. FC Köln
Auswärtsstark (02): Fortuna Düsseldorf - FC St. Pauli
Auswärtsstark (01): Factor Ljubljana - Bela Krajina
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