Andere Länder, andere Sitten. In Spanien zum Beispiel gehen die Uhren in vielerlei Hinsicht anders. Auffällig ist dies zur Zeit wieder im Hinblick auf die WM. Während hierzulande eine riesige WM-Party gefeiert wird, auch die Leistungen anderer Nationen ausdrücklich gewürdigt und bewundert werden, könnte man als Spanier oder Spanien-Tourist meinen, dass in diesem Sommer einzig und allein Brasilien und eben Spanien ein paar Spiele austragen, bis irgendwann feststeht, wer denn nun von beiden die Weltmeisterschaft gewinnt. Aufgrund der Berichterstattung würde es auch nicht verwundern, wenn der gemeine Spanier gar nicht mitbekommt, dass die selección ihre Spiele in Deutschland austrägt. Vielleicht wähnt er sie auch einfach irgendwo im Baskenland.
Dies hat zwei Gründe:
1.: Der Durchschnittsspanier ist ein Ignorant par excellence
2.: Die Berichterstattung der spanischen Medien bei sportlichen Großereignissen richtet sich danach aus und ist, gelinde gesagt, unter aller Sau!
Rückblende:
Das Jahr 2004 mit der Fußball-Europameisterschaft in Portugal und den olympischen Spielen in Athen kann man mit Fug und Recht als Super-Sportjahr bezeichnen. Während in Deutschland mediale Dauerberieselung stattfand (die Omni-Präsenz der Beckmanns und Kerners im deutschen Fernsehen darf man gerne als fragwürdig bezeichnen), präsentierten spanische Medien das absolute Gegenteil: Beschränkung auf das (Aller)nötigste und Fokussierung auf die spanischen Beiträge zu beiden Großereignissen. Ich habe es eingangs schon erwähnt: sollte ein Spanier während einer WM, EM oder während olympischer Spiele mal ins Ausland kommen und in der Lage sein, die dortige Berichterstattung zu verfolgen, so könnte es passieren, dass er einen Schock bekommt. Vielleicht erfährt er dann zum ersten Mal in seinem Leben , dass auch andere Nationen an solchen Ereignissen teilnehmen und in der Lage sind, ganz passable Leistungen zu erbringen.
Während der EM äußerten sich die oben aufgestellten Thesen wie folgt: Auch auf der iberischen Halbinsel werden vor Turnierbeginn Sonderhefte herausgebracht, wie es hier etwa der Kicker macht. Zeitschriften wie Marca und AS sind dann gezwungen, sich einmal mit Fußball zu beschäftigen, der jenseits von Real Madrid liegt. Beim Lesen des Heftes stellt sich einem schnell die Frage, warum eigentlich überhaupt gespielt wird, wo der Sieger (richtig: Sanien) doch schon fest steht. Kommen sie bloß nicht auf die Idee, die blasphemische Frage zu stellen, warum Spanien bei so großer Dominanz seit 1964 nicht mehr in der Lage war, ein Turnier zu gewinnen. Eine sinnvolle Antwort ist eh nicht zu erwarten.
Das Schauen der Spiele im Fernsehen war auch kein Zuckerschlecken. Minimalste Vorberichterstattung, Analyse, Interviews und das Wiederholen der Tore nach den Spielen? Fehlanzeige! In Spanien gehen die öffentlich-rechtlichen Sender mit Abspielen der Nationalhymnen auf Sendung und pünktlich mit Abpfiff wieder runter. Das Einblenden der gespielten Zeit, gepaart mit dem gerade aktuellen Ergebnis ist anscheinend überflüssiger Kokoleres. Stattdessen überbieten sich die Kommenatatoren in ihrem Unwissen über fremde Nationen. Da wird aus einem Giovanni van Bronckhorst konsequent ein Giovanni Brockho. Dass der Mann seit Jahren beim FC Barcelona in der heimischen Primera División spielt, trägt keineswegs dazu bei, sich einmal mit der richtigen Aussprache seines Namens zu befassen.
Das Ausscheiden Spaniens trifft die Nation und vor allem die "Journalisten" wie ein Schlag und völlig überraschend. Irgendwie verliert man danach einfach die Lust an diesem ja eigentlich auch "völlig unwichtigen Turnier". Was zählt ist Real Madrid und der FC Barcelona. Und da, so unkt der spanische Kommentator nach dem Ausscheiden der selección allen Ernstes, wird Europa noch sein blaues Wunder erleben. Nach einem mäßigen Jahr in der Champions League (auch das noch!), werde Real gestärkt zurück kommen und alles wegputzen, was vor die königlichen Pranken käme. Nun ja...
Bei den olympischen Spielen gibt es plötzlich (Oh Wunder!) eine Vorberichterstattung. Die sieht zumeist jedoch so aus, dass die spanischen Athleten - natürlich - im entsprechenden Wettkampf die Favoriten seien. Die Realität sieht dann meist anders aus. Nach zwei Wettkampf-Wochen rangiert Spanien im Medaillenspiegel abgeschlagen auf einem der hinteren Plätze, was einen Nachrichtensprecher (!) zu der Analyse veranlasst, dies sei schließlich eine Übersicht, die Aussagen träfe über Quantität, keinesfalls aber über Qualität...
Wer dies weiß, gerät bei den spanischen Beobachtungen zur WM eher ins Schmunzeln, als sich verwundert die Augen zu reiben. Spaniens - zugegeben eindrucksvolles 4:0 über die Ukraine - wird als Neuerfindung des Fußballs gefeiert. Die spanischen Kommentatoren überboten sich mit Superlativen, die sowieso eine entscheidende Rolle in der spanischen Sprache spielen. Das Zusammenspiel von Xabi Alonso, David Villa und Fernando Torres wird da schon mal mit "Fantastico", "Galactico", "Superbien", "No es de este mundo" und "Enormes" beschrieben. Eine Übersetzung ist an dieser Stelle wohl nicht nötig. Das weckt Erinnerung an das "Jahrhundertspiel" im Handball bei eben den olympischen Spielen von Athen zwischen Deutschland und Spanien. Die iberischen Aktionen wurden mit ähnlichem Vokabular beschrieben, das deutsche Spiel war allenfalls Mittelmaß. Dumm nur, dass Spanien am Ende ausschied.
Auch jetzt fällt die Fokussierung auf die selección massiv ins Auge. Bewunderung für die Ballkünste der Argentinier, das kluge und effiziente Spiel Italiens, das intensive und euphorische Spiel der Gastgeber? Fehlanzeige! Kein Wunder, viele Spiele werden schlicht und einfach nicht oder einfach mit einstündiger Verzögerung übertragen. Anerkennung findet in der spanischen Wahrnehmung dagegen das müde Spiel der Brasilianer gegen Kroatien (1:0). Das ist kein Witz! Während man sich hier fragt, ob Ronaldo überhaupt in Deutschland ist oder er nicht einfach eine feiste Attrappe in den kroatischen Strafraum drappiert hat, wird seine Form- und Gewichtskrise im Land seines Arbeitgebers konsequent ignoriert. Glaubt man spanischen Medien, war der Auftritt Brasiliens nach dem der Spanier der Beste, der bei dieser WM bisher zu sehen war. Diese Einschätzung ist nur mit der Bewunderung für die erfolgreiche Geschäftspraktik des nationalen Heiligtums (Real Madrid) zu erklären. Dort spielt das wahllose Kaufen von vermeintlichen brasilianischen Top-Stars eine entscheidende Rolle.
In Spanien geht also alles seinen gewohnten Gang. Mit dem völlig überraschenden und unverdienten Ausscheiden der selección ist demnach spätestens zum Viertelfinale zu rechnen. Danach wird man die Frage stellen, was denn schon eine WM im Gegensatz zu den europäischen Vereinswettbewerben sei, wo schließlich wahre Leistung honoriert werde.