Neues aus dem Gästeblog (4.KW)
Das Leben ist kurz, die Zeit rast, alles muß schnell gehen und der Mensch sich ständig rasanten Veränderungen anpassen. Diese Tatsache stellt uns vor persönliche und strukturelle Schwierigkeiten, denn vor allem in zeitlicher Hinsicht stehen wir ständig unter enormen Druck. Die moderne Philosophie kennt den Begriff der sogenannten Temporalinsolvenz, was nichts anderes bedeutet als das wir keine Zeit übrig haben. Obwohl wir eigentlich ausreichend Zeit haben sollten. Welche Auswirkungen hat das? Nehmen wir uns kurz Zeit, um das Problem anhand eines Beispiels zu verdeutlichen. Ein Fußballspieler, nennen wir ihn einfach Juan, z.B. einen Venezolaner der auch noch den schönen Spitznamen „Hurrikan“ trägt, ein Wirbelwind also, ein Hans Dampf in allen Gassen, soll in einem beliebigen Spiel einen Elfmeter schießen, möglicherweise gegen Berlin. Einerseits ist der Strafstoß ein Geschenk, die einfachste und schnellste Art, fast ungehindert ein Tor zu schießen. Andererseits bedeutet die Elfmeterentscheidung Ruhe, sie unterbricht das Spiel, bietet ungewohnte Zeit zum Nachdenken, zur inneren Einkehr und zum Verschnaufen. Juan bekommt vom Schiedsrichter plötzlich Zeit geschenkt; Zeit die er normalerweise nicht hat, weil er ständig unter Zeitdruck agieren muß. Er ist es gewohnt, blitzschnell und intuitiv zu handeln, denn Chancen eröffnen sich ihm nur im Bruchteil von Sekunden bevor sie so plötzlich vergehen wie sie gekommen sind. Er tut also, was er glaubt tun zu müssen: schnell schießen. Je zeitnaher sich diese ungewohnte Situation auflöst, um so eher nimmt das Spiel wieder seinen gewohnten Lauf. Er nimmt kurz Anlauf, wenige Schritte nur und schießt den Ball halbhoch in Richtung des Tores. Allerdings hat er seine Rechnung ohne den Torwart gemacht, einen Mann mit einem ganz anderen Gefühl für Raum und Zeit. Dieser Spieler ist Warten gewohnt, er ist ein Fels. Während Juan den Ball vom Elfmeterpunkt beschleunigt schwant ihm bereits, daß er den zufälligen Moment der Ruhe nicht ausreichend gekostet hat und daß er alsbald schon wieder ein Gehetzter sein wird. Er weiß auch, daß dieses ständige Gefühl des Gehetztseins auf Dauer nicht gesund sein kann und entscheidet sich spontan, aus dieser Beschleunigungsspirale auszubrechen. Als der Ball vom Körper des Torwarts ins Feld zurückprallt entscheidet er bewußt asynchron. Aus Prinzip. Er stellt sich gegen die atemlose Steigerungslogik seines Wettbewerbs! Juans Entscheidung ist zwar ungewöhnlich, aber dennoch ein gesundes Plädoyer für die Ruhe, Geduld und Ausdauer, zur individuellen Synchronisation. Nehmen Sie sich, verehrte Leserinnen und Leser, jetzt ruhig ein oder zwei Minuten Auszeit, entschleunigen Sie ihren Wochenstart und denken Sie mal darüber nach. Es lohnt sich. Bis nächste Woche.
Gastkolumnist Dr. Theo Soph pfeift Montags beim FohlenKommandO die neue Woche an
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