Nachlese - 11 Freunde Sonderheft
Wer es bisher noch nicht erraten konnte: fußballerisch wurde das Fohlenkommando in den Achtzigern sozialisiert. Wir erinnern uns noch gut an die Sportschau am Samstag und das Bangen, ob Borussia unter den Außerwählten war, deren Spiele gezeigt wurden. Wir gingen zur 2. Halbzeit zum Stadion, weil dann die Tore zu den spärlich besuchten Spielen geöffnet wurden. Mein erstes (und einziges) vollständiges Panini-Album war aus der Saison 85/86. Als ich also eine Zeitschrift in der Bahnhofsbuchhandlung entdecke, von der mir ein jugendlicher Olaf Thon mit leichtem Flaum, im Schalke T-Shirt und leicht offenem Mund vor einer Eisenbahnkulisse mit Güterzügen entgegenstiert, lege ich die FHM wieder zurück und erwerbe das 11 Freunde Spezial - Die Achtziger.
Um es vorweg zu nehmen, ich bin enttäuscht von der Publikation; ich glaube, dass hier viele Chancen vergeben wurden, die Fußballkultur der Achtziger wirklich noch einmal lebendig werden zu lasssen. Stattdessen gibt es zu viel allzu Bekanntes und Abgehangenes. Grob lassen sich die Themen des Hefts geographisch einteilen. Neben der Bundesliga gibt es Geschichten über England, die italienische Liga mit den deutschen Legionäre und der großen Zeit des SSC Neapel mit Maradona, und ein wenig über die französische Nationalmannschaft um Platini. Ich möchte mich auf die Beiträge zur Bundesliga beschränken.
Der Beginn mit einem Interview mit Zorc, Lameck und Herget ist vielversprechend. Erfrischend offen reden sie über Geld, Trainingsmethoden und Schienbeinschoner in den Achtzigern. Dann gibt es noch eine interessante Chronologie der Flucht des Rumänen Raducanu, die ihn zu Borussia Dortmund führen sollte und ein kurzes Interview mit Jörg Berger über seine Flucht aus der DDR und die nachfolgenden Probleme mit der Stasi. Dies ist nicht wirklich originell, da Berger wegen seiner kürzlich veröffentlichten Biographie ähnliche Interviews schon zu Hauf gegeben hat. Immels Erinnerungen an die Weltmeisterschaften 1982 und 1986 geben ihm die Möglichkeit, einige der abenteuerlichsten Behauptungen aus Schumachers Anpfiff ("Der Platz war hart wie knochentrockene Scheiße") zurückzuweisen. Dazu noch ein Reisebericht des HSV zum Endspiel des Landesmeisterpokals in Athen. Naja, das reißt niemanden wirklich mehr vom Hocker.
Eine schöne Fleißarbeit ist ein Protokoll des legendären Schlagabtauschs zwischen Daum, Heynckes und Hoeneß im Aktuellen Sportstudio 1989. Das Stilmittel der Wiedergabe des gesprochenen Wortes wurde ja auch von uns schon bei Gelegenheit angewandt (hier, hier und da), um die Leere der Rhetorik und die vielen unvollendeten Relativsätze hervorzuheben. Schön und wichtig ist auch der Artikel über die Rolle der Sportschau (die natürlich nicht auf die Achtziger beschränkt war). Doch die Frage des Untertitels, "wie gut war die Sportschau wirklich?", wird nicht beantwortet.
Alles in allem mehr oder wenig solide vom Schreibtisch aus recherchierte Artikel. Und das ist das Problem. 11 Freunde versteht sich ja als "Magazin für Fußballkultur". Um sich dadurch von den üblichen Jahrbüchern abzusetzen, wäre es nötig gewesen, einmal wirklich die damalige Kultur in den Stadien und um die Vereine auszugraben. Wie war die Atmosphäre in den alten, zugigen Stadien, die durch die Nachbeben der Bundesliga-Affäre und verschobene Spiele meist ziemlich leer waren? Was waren die Schlachtrufe? Wie waren Fans organisiert? Wer ging ins Stadion? Das einzige, was ansatzweise in diese Richtung gemacht wird, ist die Erwähnung der damals verbreiteten Signalhörner in der Fankurve und eine Abbildung einer "Kutte" eines Dortmund-Fans. Dass es früher mehr "Kutten" gab als heute, wissen ja selbst die Ultras, die noch ein paar Exemplare dieser aussterbenden Art in der Kurve dulden. Aber was waren das für Typen, die damals zu den Auswärtsspielen mitgefahren sind? Und wie? Mit der deutschen Bundesbahn? Wie schlimm war die Gewalt damals wirklich? Und was ist mit ihnen heute? Sitzen sie jetzt im Langnese-Familienblock oder haben sie sich abgewandt? Eine weitere Fundgrube wären die Trikots der Achtziger gewesen, vor allem wenn man bedenkt, dass die im Vergleich zu den Geschmacksverirrungen der Neunziger wirkliche Designklassiker waren. Ganze vier Trikots werden gezeigt, von denen zwei von 1860 München sind. Auch die DDR-Liga wird faktisch überhaupt nicht beachtet. Auch hier hätte es Unmengen von Themen gegeben, die so einem gestrickten Sonderheft wirklich ein Alleinstellungsmerkmal verpasst hätten. Fast schon traditionell die etwas schludrige Arbeitsweise bei 11 Freunde: Seitenzahlen im Inhaltsverzeichnis stimmen nicht, eine Übersicht der Endtabellen aller 80er Saison hat ein Jahr doppelt, hier und da ein Tippfehler.
Was bleibt für Borussen? Nun, es wird deutlich, dass die Achtziger den Niedergang einläuten. Gladbach spielt zwar in der Liga meist oben mit, kommt in den UEFA-Cup, doch die Metamorphose in einen sportlich mittelmäßigen Verein ist unaufhaltsam. Trost bietet die Ankündigung des nächsten Sonderhefts: im September sollen die Siebziger verbraten werden. Hoffentlich wird dann mehr geboten als die üblichen Geschichten über Netzers Lover's Lane oder seine Selbsteinwechslung im Pokalfinale.
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